Etwa ein Viertel unseres Lebens verbringen wir im Traum. Tatsächlich ist es so, dass jeder Mensch träumt, denn Träume haben eine wichtige Funktion für den Menschen. Auch Blinde, also Menschen mit einer ausgeprägten Form einer Sehbehinderung, träumen. Wird man blind geboren, hat man nie in seinem Leben ein visuelles Wahrnehmungsvermögen besessen. Dafür sind andere Wahrnehmungen wie der Geschmacks- und Gehörsinn ausgeprägt. Diese veränderte Wahrnehmung der Sinne schlägt sich auch im Traum nieder. Aber wie träumen blinde Menschen? „Sehen“ sie Bilder im Schlaf? Für Menschen ohne körperliche Beeinträchtigung ist ein Leben ohne Augenlicht nur schwer vorstellbar. Noch unvorstellbarer sind Träume ohne Bilder, denn sie sind überwiegend durch optische Wahrnehmungen und Eindrücke geprägt, seltener hingegen durch Gerüche oder Geräusche.
Was sind Träume und warum träumt man überhaupt?
Forscher gehen davon aus, dass wir träumen, um neue Erlebnisse und aktuelle Erfahrungen zu verarbeiten und zu speichern. Bereits vergangene Ereignisse werden mit neu dazukommenden verbunden, meist solche, die emotional ähnliche Inhalte aufweisen. Träume sollen auch dazu beitragen, Probleme zu verarbeiten und Lösungen für diese zu finden. Dabei kann der Traum realen Ereignissen und Bildern äußerst ähnlich sein, aber auch vollkommen irreale, zusammenhangslose Szenen oder flüchtige Bilder beinhalten. Szenische Träume kommen bei „normalen“ Träumen vor, also solche, die alle Sinneseindrücke beinhalten. Doch was ist, wenn man nie Augenlicht besessen hat und daher auch nie Bilder im Alltag wahrnehmen konnte? Letztendlich ist ein Traum ja nur die Wiedergabe von Erlebnissen aus unserem Leben. Bei Menschen ohne Sehkraft ist es nicht anders: sie träumen so, wie sie ihren Alltag wahrnehmen. Dies ist eben nicht visueller Natur, sondern erfolgt über einen Mix verschiedener Sinne, beispielsweise über das Gehör oder die Haut. Bei Menschen, die von Geburt an ihr Umfeld nicht über das Auge, sondern über alle anderen Sinne wahrnehmen, sind diese äußerst stark ausgeprägt und nehmen demnach im Traum eine große Rolle ein. Wird man blind geboren, erlebt man den Traum nicht optisch. So können Blinde beispielsweise Formen nur durch Ertasten erkennen. Dinge jedoch, die ausschließlich optisch wahrnehmbar sind, beispielsweise Farben, kennen blinde Menschen nicht. Während sehende Personen im Traum meist intensive Bilder wahrnehmen, sind dies bei Blinden Gerüche, akustische oder haptische Eindrücke. Personen, die erst im Laufe ihres Lebens erblindet sind und bis zu etwa ihrem 7. Lebensjahr eine visuelle Wahrnehmung gehabt haben, können auch weiterhin im Traum „sehen“. Formen, Objekte und auch Farben haben sich eingeprägt und können visuell im Traum erscheinen. Je länger ein Mensch jedoch blind ist, desto mehr nehmen Erinnerungen an Orte, Personen und Gegenstände ab – die Träume werden weniger visuell. Vor allem Farben verblassen schnell, häufig sind die Bilder in Träumen von Blinden schwarz-weiß.
Blinde haben keine visuellen Träume – oder doch?
Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse haben ergeben, dass bei blinden Menschen diejenigen Gehirnareale, die optische Reize verarbeiten, vorhanden und funktionstüchtig sind, auch wenn die Augen blinder Menschen nicht mehr funktionieren. Im Jahr 2003 führte der portugiesische Biophysiker Helder Bértolo eine Untersuchung mit von Geburt an blinden Menschen durch. Sie wurden in ihrer REM-Schlafphase geweckt, in der die Erlebnisse des Tages, äußere Reize wie Geräusche und Gerüche und erworbenes Wissen geordnet bzw. aussortiert werden. Nur wichtige Informationen gelangen dabei in den Langzeitspeicher. In der REM-Schlafphase werden Teile der Großhirnrinde aktiviert und wir beginnen zu träumen. In dieser Zeit ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass man sich an den Traum erinnern kann, wenn man geweckt wird. Die untersuchten Personen sollten das, was sie im Traum „gesehen“ hatten, aufzeichnen. Eine der Zeichnungen zeigt eine Sonne, ein Segelboot und eine Palme, zwei Kinder, die mit Sandeimern spielen und über ihnen Wolken und Möwen – und das von einem Menschen, der noch nie zuvor in seinem Leben eines dieser Dinge gesehen hat. Eine weitere EEG-Untersuchung ergab eine erhöhte Aktivität der visuellen Gehirnareale bei denjenigen blinden Personen, die Objekte aus Träumen zeichnen konnten. Eine Erklärung dafür ist, dass die visuellen Gehirnareale bei Blinden noch intakt sind, vielen Blinden jedoch die Leitungen dorthin fehlen. Anders ist es bei Blinden mit visuellen Träumen, denn bei diesen werden die verschiedenen Sinneseindrücke und Wahrnehmungen über die Leitungen zu den visuellen Gehirnzentren weitergeleitet. Dort werden sie als visuelle Empfindungen wiedergegeben. Mittels anderer Sinne als den Augen können blinde Menschen eigene, visuelle Bilder erschaffen. Wahrscheinlich können sie räumliche Vorstellungen von Größen und die Beschaffenheit von Gegenständen anhand von haptischer und akustischer Eindrücke erzeugen. Es gibt sogar Berichte von Blinden, die nicht nur von Formen, sondern auch von Farben träumen. Für die Wissenschaft ist dieses Phänomen bisher schwer nachzuweisen, da von Geburt an blinde Menschen keine Farben benennen können.
Wovon man träumt, ist bei blinden Menschen und Personen mit Sehkraft nicht verschieden. Allerdings berichten viele Blinde, häufig Albträume bzw. schlechte Träume zu haben. Der Grund dafür könnte sein, dass Albträume eine Reaktion auf Konfrontationen, Ängste und Problemsituationen im Alltag sind. Blinde Menschen sind diesen schwierigen Situationen im Alltag eher ausgesetzt, da aufgrund fehlender Sehkraft die Wahrscheinlichkeit höher ist, zu stolpern oder sich zu verirren.